Form ist Leere, Leere ist Form

Mit diesem Satz wollte uns der Buddha vermitteln, dass wir das, was wir wahrnehmen können, nicht für "bare Münze" nehmen sollten.

Denn es hat den Wert einer Illusion. Abhängig von unseren Wahrnehmungsorganen und der Verarbeitung unseres Verstandes konstruieren wir die Welt im Austausch mit den uns begegnenden Impulsen gemäß unserem Nutzen, unseren Zielen, unseren Möglichkeiten. Hinter allen Formen, in denen sich das Universum ausdrückt, steht als Hintergrund das Sein. Insofern sind alle Formen, uns eingeschlossen, vorüber-gehende Repräsentanten des Seins, das wir und sie in Wirklichkeit sind.

Ich habe Kunst immer als Möglichkeit angesehen, meine Erfahrungen in den Zusammenhang solcher Erkenntnisse zu stellen.

Dabei verbindet sich für mich - anders als beim rein reflektorischen Denken und anders als beim Konzeptualisieren - im Prozess des Malens die Gegenwärtigkeit des nicht Gewussten (Seins) mit dem Hintergrund dieses Wissens. Das ist das Spannende am Vorgang des Malens. Es ist ein Augenblick unmittelbaren Erlebens und gleichzeitig eine Präsenz angesammelten Bewusstseins.

Dabei stellen Nullpunkt, Nichtbild, Leere, leere Form, Loslassen von Vorstellungen und Fallen lassen ins Nichts die konstitutiven Gegen-Pole zu dem Strom der Bilder dar, die uns jeden Tag begegnen und durch den Kopf ziehen.

Natürlich sind diese Bilder weiterhin vorhanden, doch es ist spannend zu beobachten, wie Denken und Fühlen ihnen begegnen. Wo das Denken einhakt und seine Assoziationen bildet, wo es Zusammenhänge entdeckt, die möglicherweise erschließend sind, wo es nur aus Laune seine Kapriolen schlägt, wo das Denken von der inneren Sammlung ablenkt, welche Rolle die Denkbilder innerhalb des Bildorganismus spielen können und wie ich sie loslassen kann, um zur Stille ohne Bilder und ohne Gedanken zu kommen - und das Entscheidende: wie sich diese Vorgänge in Bildern niederschlagen können / wie sie sich in Form von Bildern ausdrücken können.

Ein widersprüchliches Unterfangen - sicherlich, doch spannend zugleich. Spannend dabei ist das Zusammentreffen von Innenwelt und Außenwelt.

Die 'Er-Findung' der letzten Bilder der Folge "Form ist Leere, Leere ist Form" besteht darin, dass im mittleren weißen Quadrat ein blaues Farbfeld auftaucht, das sich als Raumsuggestion dadurch vermittelt, dass die Aussparungen an seinen Rändern auf Pflanzen, Gegenstände oder Inhalte schließen lassen, obwohl sie als Leerformen dargestellt sind.

Der gemalte Rahmen um das quadratische Weiß macht deutlich, dass dies beabsichtigte Leere ist. Im Rahmen tauchen gegenüber der monochromen Stille des Mittelfeldes jene gedanklichen und gefühlsmäßigen Aktionen auf, mit denen sich das Denken während der Bildproduktion beschäftigt hat. Das sich bei einigen Bildern einfindende Thema der "Mickey Mouse" (von Walt Disney) hat stellvertretend die Bedeutung für die ins Abstruse gesteigerte Illusionswelt unserer mehr und mehr denaturierten Zivilisation.

Dieses Element hat karikaturhafte Züge. Ein Element, das ich eigentlich seit langem abgelegt habe. Denn Karikatur ist, wenn man sie richtig deutet, der aus Handlungs-Ohnmacht entstandene Gegenpol zu dem, was man liebt und wofür man sich in seiner Überzeugung einsetzt.

Dafür stehen die anderen Elemente der Bilder. Auch wenn sie nur andeutungsweise auftreten sind es die Zeichen meiner nächsten Umgebung, von denen ich mich als Kraftquelle vom Universum beschenkt fühle, wie z.B. dem unendlichen Raum der uns täglich begegnet, zumindest als Raum zwischen den Dingen.

Ein paar Worte zum theoretischen Hintergrund meiner Bilder

Nun ist es für ein Metier, das sich der Bildhaftigkeit als Ausdrucksmittel bedient, gar nicht so leicht, die Gewohnheit, mit der wir uns auf der Grundlage unserer (retinalen) Alltagsbilder in der Umwelt orientieren, zu durchbrechen und mit geradezu demselben Medium, nämlich Bild, eine Transformation solcher Alltagserfahrungen zum Ausdruck zu bringen.

Es waren die Impressionisten, die zum ersten Mal deutlich die Beziehung zwischen unserer Wahrnehmung und den wahrgenommenen Erscheinungsbildern thematisierten. Cézanne ging dabei am weitesten, indem er versuchte, sein 'Sensorium' so zu schulen, dass er mit den Mitteln der Ästhetik die hinter den Erscheinungsbildern verborgenen Gesetzmäßigkeiten (des 'pater omnipotens', wie er es nannte) zu erkunden suchte. Dabei war ihm klar, dass es einer Beobachtung und Konzentration der Gesamtheit unserer Wahnehmungen bedurfte, um im Hier und Jetzt in das Mysterium hinter den Erscheinungen vorzudringen. Es war ihm auch klar, dass das verbunden war mit einer Aufgabe der Ich-Position, mit der Auslieferung an den Augenblick des Seins. Deswegen legte er Wert darauf, manchmal sein Motiv stundenlang meditativ zu erfassen und formulierte: "Wenn ich dazwischen komme, ist das Bild verloren".

Mit der Verschiebung der Aufmerksamkeit auf den Vorgang der Wahrnehmung öffnete sich das Feld von einer normativen Ästhetik hin zu einem Experimentierfeld zur Erkundung von Darstellungsmöglichkeiten weit von der Nachahmung der "gesehenen Wirklichkeit" entfernt. Damit haben wir eine grenzenlose Freiheit bei der Anwendung der künstlerischen Mittel.

Ich nutze diese Freiheit, um in meinen Bildern verschiedene "Sprachstile" so zu arrangieren, dass sie zueinander in einen Dialog treten können. Eine Unterhaltung aus Spannung und Harmonie, in die man als Betrachter eintreten kann.

Und ich nutze sie als Möglichkeit, auf neue Weise im ästhetischen Feld zu forschen: nämlich im Prozess des Malens die Gegenwärtigkeit des nicht Gewussten (Seins) mit dem Hintergrund des angesammelten Wissens zu verbinden. Das ist das Spannende am Vorgang des Malens. Es ist ein Augenblick unmittelbaren Erlebens und gleichzeitig eine Präsenz des vorhandenen Bewusstseins.

Wenn man die Bilder, die wir uns von der Welt machen, als illusionäre Spiegelbilder betrachtet, die uns im Geist erscheinen, und ihren Grund 'entdecken' will, bietet sich an, nicht die Bilder, sondern den Spiegel selbst zu untersuchen.

Sigurd Saß (Sasssigurd)